Die Jahre 1940 bis 1946
Bereits vor der Gründung der Industrie GmbH im Herbst 1946 ist vor allem Dr. Wilhelm Schaeffler unternehmerisch aktiv. 1940 übernimmt er im oberschlesischen Katscher ein Textilunternehmen, 1943 gründet er dort eine Metallfertigung und steigt in die Rüstungsproduktion ein.
Der Weg zum Unternehmertum
Wilhelm Schaeffler ist bei seiner frühen beruflichen Tätigkeit im Industriebüro der Berliner Zentrale der Dresdner Bank für die betriebswirtschaftliche Kreditprüfung zuständig. In dieser Zeit analysiert er 65 Firmen verschiedener Branchen, darunter die „Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppich-Fabriken AG, Berlin – Katscher O.S. und Kaldenkirchen“.
Zum 1. Oktober 1940 erwirbt Wilhelm Schaeffler die Anteilsmehrheit an der „Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppichfabriken AG“, wie sie jetzt heißt. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Berlin und produziert in mehreren Werken in Katscher. Es ist der Beginn von Wilhelm Schaefflers Laufbahn als eigenständiger Unternehmer.
Geschichte der Davistan AG
Die Firma Davistan wird 1850 als „David & Co.“ in Berlin gegründet. Die Fertigung in Katscher beginnt 1905. Die Geschäfte laufen viele Jahre sehr gut, bis der Umsatz insbesondere infolge der Weltwirtschaftskrise einbricht. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen und den Boykott von jüdischen Geschäften verfügen, verlässt Firmeninhaber Ernst Frank mit seiner Familie Deutschland.
Ende 1933 lassen die Gläubiger – die Dresdner Bank und das Bankhaus Mendelssohn & Co. – das Unternehmen in Konkurs gehen. Als auch die im Mai 1934 gegründete Nachfolgegesellschaft „Davistan Krimmer-, Plüsch- und Teppichfabriken Aktiengesellschaft“ die Probleme nicht in den Griff bekommt, suchen die beiden Banken seit 1937 nach einem Käufer. Erst im September 1940 wird er gefunden: Der Wirtschaftsprüfer Wilhelm Schaeffler bekundet sein Interesse.
Am 1. Oktober 1940, also im unmittelbaren Umfeld der Firmenübernahme, tritt Wilhelm Schaeffler der NSDAP bei. Georg Schaeffler hat diesen Schritt mit Beginn seines Studiums am 1. Dezember 1938 getan. Über die formale Mitgliedschaft hinausweisende politische Aktivitäten innerhalb oder außerhalb der Partei entwickeln die Brüder nicht. Weder Wilhelm noch Georg Schaeffler werden zu „Wehrwirtschaftsführern“ ernannt.
Textilunternehmen und kriegsbedingte Rüstungsproduktion
Den Erwerb der Mehrheit an der Davistan AG finanziert Wilhelm Schaeffler mit Krediten und vor allem mit Vermögenswerten seiner Eltern Georg Jakob und Anna Carolina Schaeffler. 1941 wird das Unternehmen in „Wilhelm Schaeffler AG“ umfirmiert. Bis Ende 1942 übernimmt Wilhelm Schaeffler, inzwischen alleiniger Vorstand, die Anteile zweier bisheriger Mitgesellschafter, die bei der Firmenübernahme einen Teil der Anschubfinanzierung eingebracht hatten. Gleichzeitig gibt Wilhelm Schaeffler 25 Prozent der Anteile an seinen jüngeren Bruder Georg weiter.
Georg Schaeffler nimmt als Soldat an den Feldzügen gegen Frankreich, Jugoslawien und die Sowjetunion teil. Danach hält er sich in Köln auf, um im Lazarett eine Verwundung auszukurieren und sein Studium fortzusetzen. Gegen Kriegsende erneut als Soldat an der Westfront im Einsatz, kommt Georg Schaeffler im Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft, aus der er nach wenigen Wochen entlassen wird. Sein Studium hat er im Oktober 1944 abschließen können.
Um einer Schließung der nicht mehr als „kriegswichtig“ geltenden Textilfertigung vorzubeugen und am profitablen Rüstungsgeschäft teilnehmen zu können, steigt Wilhelm Schaeffler im März 1943 in die Metallfertigung ein. Zweck der neu gegründeten „Wilhelm Schaeffler KG“ ist die Herstellung von „Gegenständen aller Art der Maschinenbau-, Fahrzeugbau-, Eisen-, Stahl- und Blechwarenindustrie“. Produziert werden vor allem Bombenabwurfgeräte für die Luftwaffe und Gleiskettennadellager für die Kampfpanzer des Heeres.
Im Herbst 1944 sind von den etwa 1.500 Mitarbeitenden noch knapp 400 im Textilbereich tätig, die übrigen in der Rüstungsproduktion. Woher die Rohstoffe für die Textilfertigung kommen, ist nicht mehr zu ermitteln. Dass die Wilhelm Schaeffler AG Menschenhaar aus dem Konzentrationslager Auschwitz verarbeitet hat, kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Einen eindeutigen Beleg gibt es nicht.
Sowohl in der Wilhelm Schaeffler AG als auch in der Wilhelm Schaeffler KG werden Zwangsarbeiter eingesetzt. Insgesamt sind es wohl 200 Frauen und Männer. Die meisten von ihnen stammen aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion. Genaue Angaben über ihr Alter und ihr Geschlecht, ihre Unterbringung und ihre Verpflegung stehen nicht zur Verfügung.
Anschuldigungen wegen Misshandlungen oder anderer Vergehen an ausländischen Arbeitskräften sind nie erhoben worden, auch nicht in den Spruchkammer- beziehungsweise Entnazifizierungsverfahren gegen Wilhelm und Georg Schaeffler. Das Oberste Polnische Gericht bescheinigt Wilhelm Schaeffler im Oktober 1949, sich „keiner feindseligen Handlungen gegen Arbeiter polnischer oder jüdischer Nationalität schuldig gemacht“ zu haben.
Flucht und Standortsuche
Als die sowjetische Armee Anfang 1945 auf Oberschlesien vorrückt, weisen die Behörden Wilhelm Schaeffler an, Katscher zu räumen. Bis Ende März 1945 werden 40 Waggons mit Maschinen, Werkzeugen und Materialien der Metallfertigung auf den Weg gebracht. Die Immobilien und die gesamte Textilfertigung, rund 90 Prozent des Besitzes, bleiben zurück.
Noch vor Kriegsende gründen Wilhelm und Georg Schaeffler gemeinsam mit Heinz Fritsch, einem langjährigen Partner, in Schwarzenhammer ein neues Unternehmen. Weder die Wilhelm Schaeffler AG noch die Wilhelm Schaeffler KG nehmen ihre Geschäftstätigkeit wieder auf. Ein Eintrag ins Handelsregister der amerikanischen Zone oder der Bundesrepublik erfolgt nicht. Die „Fritsch & Schaeffler, Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen GmbH“ fertigt „Gebrauchsgegenstände aller Art“. Die Unternehmer können sofort starten, weil zahlreiche Mitarbeiter aus Katscher gefolgt sind.
Fritsch & Schaeffler ist eine Übergangslösung und erlischt im September 1951. Inzwischen hat am gleichen Ort die Teppichfertigung ihren Betrieb aufgenommen. Die industrielle Fertigung wurde nach Herzogenaurach verlegt.
Wann Wilhelm und Georg Schaeffler erstmals nach Herzogenaurach gekommen sind, ist nicht gesichert. Hans Maier, Bürgermeister der Stadt, bemüht sich seit Ende des Jahres 1945 um die Brüder und ihren Partner Fritsch. Noch bevor die Brüder Schaeffler das neue Unternehmen, die Industrie GmbH, am 30. November 1946 in Herzogenaurach gründen, verfügen sie bereits über die ersten Lizenzen für eine Holz- und eine Metallfertigung.
Den Gesellschaftsvertrag über die Industrie GmbH unterschreiben Georg Jakob und Anna Carolina für ihre Söhne Wilhelm und Georg Schaeffler. Wilhelm Schaeffler ist am 18. September 1946 verhaftet, nach Polen ausgeliefert und zu einer schließlich vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Grund für die Haft und das Urteil ist nicht seine Tätigkeit als Eigentümer und Unternehmer der Wilhelm Schaeffler AG oder der Wilhelm Schaeffler KG in Katscher, sondern vor allem seine Tätigkeit als Gutachter für die deutschen Besatzungsbehörden in Polen.
Georg Schaeffler kann den Gesellschaftsvertag am 30. November 1946 nicht selbst unterzeichnen, weil sein Spruchkammerverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Nachdem das am 6. Februar 1948 geschehen ist, übernimmt er vorerst alleine die Führung des neuen Unternehmens in Herzogenaurach, bis sein Bruder Ende Juli 1951 aus Polen zurückkehrt.
Die Inhalte basieren auf der Forschung von Prof. Dr. Gregor Schöllgen (Publikation „Schaeffler. Biographie einer Familie und ihres Unternehmens“, München 2021).
Gregor Schöllgen hat zudem die wichtigsten Fragen, die sich auf die Geschichte der Jahre 1933 bis 1946 beziehen, zusammengetragen und in knapper Form beantwortet: „Die Geschichte der Schaefflers 1933 -1946. Fragen und Antworten“.